Das Anschreiben abschaffen!
Nach langer Zeit mal wieder etwas an dieser Stelle schreiben, weil es mir ein Anliegen ist. Seit 2014 bin ich sowohl hauptberuflich als auch nebenberuflich im Bereich berufliches Coaching / Bewerbungs- und Karriereberatung unterwegs. Unter anderem bin ich seit 2018 als Arbeitsberater beim Kreis Gütersloh angestellt und berate tagtäglich Bewerberinnen und Bewerber im Rahmen ihrer Jobsuche. Seit 2021 bin ich zusätzlich für das Bewerberbüro des Jobcenters verantwortlich und habe dadurch sehr viel Erfahrung dahingehend, was Arbeitgeber erwarten und Bewerber/innen als Schwierigkeit im Bewerbungsprozess empfinden. Und auch im Rahmen meiner Selbständigkeit als Karrierecoach für Fach- und Führungskräfte stoße ich auch bei dieser doch sehr gut aufgestellten Klientel immer wieder auf dasselbe Problem wie bei meinen arbeitsuchenden Bewerber/innen. Alle quälen sich gleichermaßen mit dem Anschreiben.
Da gibt sooooo viele Meinungen, Ratschläge, Bücher, YouTube-Videos etc. dazu, dass das eine Wissenschaft geworden ist, mit der viele Bewerbungscoachs sehr viel Geld verdienen. Es soll sich von anderen positiv abheben. Der Einstiegssatz soll Aufmerksamkeit erregen, Interesse zeigen, die Kompetenz soll von Beginn an überzeugend und mit Stellenbezug rübergebracht werden. Dann keine Aufzählung von hohlen Floskeln wie teamfähig, zuverlässig, Hands-on-Mentalität, unternehmerisches Denken, out-of-the-box-thinking und in der Hand Feuer machen können. Am besten noch eine „Dritte Seite“ nach dem Stil von Hesse/Schrader dazu, wo man psychologisch die Hose herunterlässt („Was Sie noch über mich wissen sollten…“) und einen privaten Einblick in das Seelenleben gibt. Manch eine/r erzählt da etwas über das Segeln und einem Vergleich zum Leben, über Bergsteigen im Himalaya-Gebirge oder über die Kindheit, in der man schon immer gerne Kaufladen gespielt hat und daher Key Account werden möchte.
Und wehe, jemand schreibt die Wahrheit: „Ich bewerbe mich bei Ihnen, da ich nicht länger Netflix, meine Frau und die Kinder ertrage und einfach nur gutes Geld für einen guten Job verdienen möchte. Sie suchen gute Leute? Ich bin ein guter Mann. Warum ich beim letzten Arbeitgeber gekündigt habe? Weil der Chef ein Choleriker war und morgens mit 2,0 Promille die Leute dumm angemacht hat.“ Das möchte keiner hören. Daher: Das Anschreiben ist eine Qual für jede/n Bewerber/in und es interessiert Arbeitgeber ohnehin nicht, da sie von einer Lüge ausgehen. Daher: Lasst uns das Anschreiben einfach abschaffen. Schickt einen aussagekräftigen Lebenslauf / Kurzprofil hin, macht ein Probearbeiten und fangt an zu arbeiten, statt Wochen vor dem PC zu sitzen und Dinge zu schreiben, die ihr selbst nicht glaubt und eh keiner liest. Dann wäre alles sehr viel einfacher. Daher setze ich das schon teilweise so um. Und das ist erfolgreich.
Viele Grüße, Dein Coach Jo